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Festrede anlässlich der Eröffnung der 63. Spielzeit am 29.06.2024
von Angelica Ladurner


Die Kraft des Lachens
oder
Warum Komödie?


Sehr geehrte Damen und Herren!

Stellen Sie sich vor, jemand sagt: „Kennst du den schon?“ und dann käme statt eines Witzes eine kleine, todtraurige Geschichte, um alle miteinander zum Weinen zu bringen. – Also das braucht wirklich niemand.

Wann lachen denn Sie eigentlich? Lachen Sie manchmal unpassend? Peinlich? Lachen Sie auch über sich selbst? Laut, in die Stille hinein? Wie oft lachen Sie überhaupt? 

Warum sind jetzt Sie hier im Schloss Porcia – heute Abend und hoffentlich noch an vielen Abenden unseres gemeinsamen Lebens?


1. ZEITVERDOPPELUNG

A propos: Leben. Wir alle haben nur dieses eine – zumindest soviel wir wissen. Jede und jeder von uns geht seinem persönlichen Weltuntergang entgegen, der mit jeder verrinnenden Stunde näherkommt. 

Das schwingende Netz, auf dem wir uns bewegen, ist die Zeit. Unsere Zeit. Ihre Zeit. Meine Zeit. Das „Jetzt“ haben wir nur einmal, nämlich jetzt, immer nur jetzt. Das „Jetzt“, das ich ausspreche, ist jetzt schon vorbei. 

Sie atmen gerade. Stop. Spüren Sie’s? Irgendwo bewegt sich etwas in Ihrem Körper, Sie atmen. Ein – und aus.
Wenn Sie zu uns ins Theater kommen, hören Sie nicht auf, zu atmen. 

Sie sehen uns Schauspielerinnen und Schauspielern zu, wie wir Ihnen eine Geschichte vorspielen. 

Sie versinken in einen Raum der Selbstvergessenheit. Hermann Hesse beschreibt dies so: „Woraus ein wachsendes Erstaunen über die Vielheit des Geschehens und ein beruhigendes völliges Vergessen meiner Selbst entspringt.“

Sie atmen, leben Ihr Leben und tauchen gleichzeitig mit uns ein in ein anderes, imaginäres Leben – und so verdoppeln wir die Zeit, die uns bemessen ist. Das kann nur der Live – Auftritt! Kein Film, keine CD, kein Streaming kann jemals dieses gemeinsame „Jetztjetzt“ ersetzen. Diese Zeitverdichtung, diese Intensivierung schafft nur die Bühne – sei es die musikalische oder die theatralische. Letztere beschenkt uns durch konkretere Geschichten, denn sie nimmt die Gedanken der Zuschauenden an der Hand, während Musik ihnen Flügel verleiht.

Deshalb kommen Sie zu uns ins Theater: Um die abgezählte Lebenszeit zu intensivieren, zu verdoppeln. Die Verdoppelung der Zeit: Das ist das Geheimnis der Bühnen.

Komödie schafft das in einer lustvollen Weise. Komödien sind lustig, lüstern, listig – und dabei manchmal tot-traurig, ernst, oft auch grausam, immer aber wahr und gerade dadurch lustig. 


2. DAS LACHEN AN SICH

Sie kommen also hierher um zu lachen! Das Lachen an sich, schon allein der körperliche Vorgang ist gesund. Muskuläre Auflockerung, Lösung von Blockaden, Stimulierung von Tiefatmung, Aktivierung der Stimme in oft sonst nicht gebrauchten Tonhöhen. All das geht vom Zwerchfell aus, dem größten Muskel in unserem Körper, dem Trapez in der Körpermitte zwischen Unterleib und Oberkörper. Das lachende Durchlockern dieser körperlichen Trennung zwischen Kopf-Herz-Bereich und Bauch kann nur eine integrierende Wirkung haben zwischen den beiden Lebensansätzen die so oft – isoliert gebraucht – Übles verursachen: Zu viel Kopf im Umgang mit den Problemen unserer Zeit lässt uns die Erdung verlieren, die Vernunft der Einfachheit! 

Zu viel Bauchentscheidung ohne Hirn öffnet Tür und Tor dem Vorurteil, jenem vorschnellen, unreflektierten Aburteilen und damit Handeln, von dem Sie in wenigen Minuten hören werden, wenn Titus Feuerfuchs sagt: „Das Vorurteil ist eine Mauer, von der sich noch alle Köpf, die gegen sie angrennt sind, mit bluatige Köpf z’ruckzogen haben.“ – 

Das Vorurteil ist eine trennende Mauer, egal von welcher politischen Richtung oder aus welcher Geisteshaltung heraus sie aufgezogen wird. 

Wer Vorurteile schürt, hat einzig und allein das Ziel zu entzweien. Vorverurteilungen in die Welt zu setzen und sie dann als politische Waffe zu verwenden, kann niemals ein positives Ziel haben. 

Verhärteter Diskurs jenseits von Sachlichkeit, der sich auf den jeweilig eigenen Blickwinkel als Beweis beruft, macht blind, blöd und ist lächerlich. Wenn hier gleich Frau von Cypressenburg als Totschlagargument gegen ein: „Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen!“ – ins Treffen führt: „Meine Augen sind nicht weniger eigen als die Ihrigen!“, zeigt Nestroy uns damit, dass das unnachgiebige „Sich-Berufen-auf-das-Eigene“ den Blick auf die ganze Wahrheit trübt. Beide so streitenden Frauen haben unrecht. Die Komödie entlarvt dieses engstirnig sture Beharren auf dem eigenen Blickwinkel als einzig mögliche Sicht, als lächerlich und eben als falsch – wir lachen darüber, vielleicht gerade weil uns in der heutigen Zeit das Lachen über diese Mentalität eigentlich schon lange vergangen sein sollte. 

Das Lachen aber vergeht der Menschheit nie – Gott sei Dank, denn Lachen ist Lebendigkeit. Spitzbübische Herausforderung an das Denken.

Unser Lachen ist zutiefst individuell. Es gibt keine zwei Lacher auf dieser Welt, die ident sind. So wie unsere Stimme jeweils einmalig ist, so ist es unser Lachen. Das Geräusch des Lachens ist unsere absurdeste Ausdrucksform – nach 28 Jahren Komödienspielen in diesem Schloss weiß ich das recht gut. Und ehrlich gesagt, ich sammle Lacher aller Art: Die hohen, quietschenden, die glucksenden, die keckernden, die tief ankollernden, die kreischenden – Lacher sind ein Universum der Einmaligkeiten. 

Bei aller Individualität schafft das Lachen aber auch Gemeinschaft, Komplizenschaft.

Ich liebe die Symphonie des in diesem Schlosshof aufbrandenden Lachens. Lachen braucht ein Echo, setzt sich fort und ist ansteckend. Der von den Monty Pythons bekannte Komiker John Cleese sagte: „Das Wunderbare an echtem Lachen ist, dass es jede Art von System zerstört, das Menschen trennt.“


3. DIE SUBVERSIVE KRAFT DES LACHENS UND DER KOMÖDIE

Damit sind wir bei der subversiven Kraft des Lachens, der politisch, sozialen und umstürzlerischen Dynamik der Komödie und so mancher Liedtexte angelangt. 

Lieder von Franz Schubert und Wenzel Müller umrahmen diese Eröffnung. Beide waren Zeitgenossen Nestroys, die sich – wie Nestroy und so viele Künstlerinnen und Künstler über die Jahrhunderte hin – gegen Unterdrückung und Zensur mit verschlüsselten Botschaften und mit Witz gewehrt haben. 

Wir haben soeben Schubert’s „Forelle“ gehört. Dies ist nicht nur eines der schönsten Lieder dieser Zeit, es geht um mehr: die Forelle steht für den freiheitsliebenden Menschen, den der Fischer nur fangen und damit seiner Freiheit, Selbstbestimmung, ja seines Lebens berauben kann, indem er das Wasser trübt. Der Forelle wird der Blick auf die Wahrheit genommen, es werden ihr Probleme vorgegaukelt, die sie nicht hätte, wären diese nicht opportun für den auf Beute bedachten Fänger. In dem hellen Bächlein des freien Denkens wird das Niedere aufgewühlt, der negative Bodensatz wird aktiviert, um das Opfer besser gängeln zu können. Sind wir hier nicht mitten in der österreichischen und gesamteuropäischen Tagespolitik, wo Populisten trübe Stimmungen aktivieren, um die Netze des negativen Denkens auszuwerfen und mit reicher Beute in ihr politisches Lager einzubringen? –

Noch leben wir in einem glücklichen Staat, wo mir so manche Couplet-Strophe des heutigen Abends und so mancher Sager, nicht schaden wird, mich nicht hinter Gitter bringt. Aber die freie Meinungsäußerung kann leicht mit demokratischen Mitteln beschnitten werden. Der Weg dorthin ist bekannt und gar nicht so weit von Österreich entfernt, weder geschichtlich noch aktuell gesehen. 

Die Geisteshaltung der Offenheit, Kennzeichen einer freien Gesellschaft, braucht keine „Leitkultur“, sie ist ein Zeichen der Vernunft und sollte von keinem politischen Lager aus reinen Machtinteressen in Frage gestellt werden und auch nicht in Frage gestellt werden dürfen. 

Gewisse Grundwerte, die im Grundgesetz jeder europäischen Verfassung, ja schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verankert sind (oder soll man sagen: wären) sind nicht zu diskutieren. Es sind genau jene Werte, für die die Komödie seit Jahrhunderten eintritt: Alle Menschen – alle! – sind gleich an Würde und Rechten.

Die Helden der Komödie gehören fast immer der unteren sozialen Schicht an – Sie werden die Geschichte des arbeitslosen, diskriminierten Heimatlosen Titus Feuerfuchs gleich erleben. Theaterstücke, in denen die Helden und Identifikationsfiguren Machthaber, Herrscher und Menschen der Oberschicht sind, sind zumeist keine Komödien, sondern fast immer Tragödien. 
Die Komödie, die Hofnärrin der Literatur, kämpft für die gleichen Rechte und die Würde aller auf lustig-listige Weise. Sie kippt damit jeden unberechtigten Autoritätsanspruch aus den Stöckelschuhen des Hochmutes. 

Politische Systeme, die auf Angst und Angstmache aufgebaut sind, fürchten daher nicht umsonst die Künstler, das Kabarett und das Theater im Besonderen. Sie fürchten das Lachen an sich. Autokraten und jene Zeltfestschreier und Stimmungsmacher, die gerne solche wären, kennen keinen Humor und schon gar keine Selbstironie. 

Dario Fo, der große italienische Komödienautor und Nobelpreisträger, schreibt: „Die Macht, und zwar jede Macht, fürchtet nichts mehr als das Lachen, das Lächeln und den Spott. Sie sind Anzeichen für kritischen Sinn, Phantasie, Intelligenz und das Gegenteil von Fanatismus.“

Macht, Gewalt, falsche Autorität sprechen niemals die Sprache des Lachens. Der Narr, als rechtloser Träger der objektiv abstrakten Wahrheit lässt uns lachen. Er stolpert durch das Leben, zeigt uns uns selbst in unserem Ringen um Würde, um einen Platz hier auf dieser kleinen Erde. 

Das Lachen, unser Lachen über den Narren, der wir selber sind, ist der Sieg über die Furcht. Indem der Narr diese Furcht besiegt, öffnet sich ihm die Welt auf eine neue Weise. Jene Freiheit von Furcht spielt eine wichtige Rolle auf dem Weg des Menschen zur Eudaimonia, zur Seelenruhe, die „heitere Meeresstille des Gemüts“, wie Epikur es nannte. 


Unerschütterlichkeit und Freiheit von Angst
die gleiche Würde für alle
und die liebevolle Darstellung unserer Lächerlichkeit 
– diese drei Ansprüche der Komödie rücken unser Dasein in die rechte Dimension ihrer großen Kleinheit im großen Ganzen. 


Hochverehrtes Publikum!

Verdoppelung der Zeit – das ist Theater.
Lachen ist Individualität in Gemeinsamkeit.
Komödie handelt für die Würde und die gleichen Rechte aller.


Vielleicht haben Sie es bemerkt: 

* Dies war meine heiße Liebeserklärung an die Komödie. 

* Zugleich ist es mein Dank an dieses Renaissancegemäuer, an diesen magischen Ort des Lachens, der mich über viele Jahre als Theatermenschen beherbergt hat. 

* Es ist Ausdruck meines unerschütterlichen Glaubens an die Komödie als Lösungsmittel gegen Hass und Dummheit. Und meine geistige Verbeugung vor dem besten komödiantischen Ensemble, das man sich wünschen kann: Das Ensemble Porcia.